Wenn Kinder scheinbar nichts mehr können – Neue Perspektiven für verzweifelte Reitlehrerinnen + Reitpädagoginnen

Ich habe seit gestern eine Diskussion auf Social Media verfolgt, die mich vom schlafen abgehalten hat. Im Kern ging es um eine Posterstellerin, die sich beklagte, dass…
Im Anschluss daran kamen mehrere Kommentare, die ihr zustimmten und mehr oder weniger tief beleuchteten, wie schwierig es bei ihnen doch sei und was sie als Ursachen sehen würden…
Allen gemein ist, dass sie nur die Symptome benennen, die Ursachen jedoch gar nicht greifen können – weil die Emotionen wie Frust, Wut, Hilflosigkeit und Ohnmacht schwerer wiegen.
Was mich wirklich erschrocken hat…
…war eine Szene, die beschrieben wurde, und die Kommentare darauf:
Die Kinder im Alter zwischen 8 und 12 Jahren sollten ein 1000 Liter Fass schrubben (ob es in dem Ausmaß überhaupt legitim ist, den Kindern so eine Aufgabe aufzubürden, sei dahingestellt).
Nun hatten die Kinder die Idee, sie können das ja mit einem Besen machen – ein Besen, der sonst für die Reinigung des Pferdestalls genutzt wird.
Sie reinigten also das 1000 Liter Fass mit besagtem Besen. Dann kommt ein Satz, den möchte ich gern zitieren, weil ich gern „beweisen“ möchte, dass es sich offensichtlich tatsächlich so zugetragen hat:
…Und was machen sie? Nehmen den Besen von dem sie wissen dass wir damit die Pferdehaufen die beim Ausreiten „verloren“ wurden einsammeln und schrubben die volle 1000 Liter Wasserwanne…. Ich komme ne Weile später und wundere mich über die dunkle Wasserfarbe.
Wie kommt man auf solche Ideen? Wie verhalte ihr euch? Ruhig und entspannt bleiben wenn man wegen derartigen Dummheiten 1000Liter wegkippen kann? Mal ganz davon ab dass das beim Rauslaufen lassen sowohl den Paddock als auch den nahegelegenen Mistplatz flutet…
Wie dreckig bitteschön musste der Besen sein, dass ein 1000 Liter Fass nach dem Auffüllen eine derart „dunkle Wasserfarbe“ annimmt?
Meine erste Reaktion:
Da stellen sich mir ehrlich gesagt ganz andere Fragen, als die, warum die Kinder „so dumm“ waren, einen offensichtlich vollkommen verdreckten Besen zu nehmen, um das Fass sauber zu machen…
Mal ganz abgesehen davon, dass es sein kann, dass vielleicht das jüngste Kind mit dem Besen schon angefangen hatte und es daher „eh schon zu spät“ gewesen wäre … Wie wenig sorgsam wird darauf geachtet, dass Arbeitsutensilien nach der Arbeit auch wieder sauber gemacht werden? Da liegt doch der Hase schon im Pfeffer
Wenn die Stallreinigungskräfte nicht mit gutem Beispiel vorangehen und LEHREN wie es geht, wie kann es sein, dass von den Kindern derartiges Mitdenken erwartet wird?
Ich spreche mal von uns:
Bei uns wird der Besen nach Benutzung ausgeklopft und einmal die Woche mit einem Kärcher gereinigt… Selbst wenn aus Versehen ein Besen von uns zur Reinigung eines 1000 Liter Fasses benutzt worden wäre… Es wäre niemals derart dreckig gewesen, dass das Wasser danach nicht mehr klar gewesen wäre…
Das ist aber noch nicht das Schlimmste an der Sache. Das Schlimmste sind die Kommentare, die teilweise von einer Art des Umgangs mit Kindern sprechen, dass sich mir die Zehennägel umschlagen – und solchen Menschen sollen Eltern ihre Kinder bringen?
Hier musste ich echt schlucken als ich das las…
Aber seht selbst: Auf den Kommentar, dass die Kinder dann Eimer für Eimer das Wasser ausleeren und entsorgen müssen kam dieser Kommentar hier:
…und wer bei der Arbeit durstig wird darf sich natürlich ein Becher nehmen. Das Pferd hätte es ja auch trinken müssen
Wenn wir hier von einem verdreckten Wasserreservoir sprechen und im gleichen Atemzug als „Lehre“ die Kinder das trinken lassen wollen, dann bin ich einfach nur noch sprachlos, ob der Grausamkeiten, die in den Köpfen mancher „KINDER-Reitlehrerinnen“ vor sich gehen…
Ein Wort an alle Eltern:
Liebe Eltern, macht euch VORHER ein Bild darüber, wie ReitlehrerInnen mit euren Kindern umgehen, wenn sie mal nicht 100% liefern, wenn sie mal Fehler machen – Ich hoffe nur, dass diese Aussage eine ist, die niemals aber wirklich NIEMALS in die Tat umgesetzt wird…
Ja, die Kinder haben sich verändert. Ja, die Art zu Lehren muss entsprechend der Entwicklung der Kinder angepasst werden.
Wer sich der gesellschaftlichen Entwicklung entgegenstellt und wütend mit dem Fuß auf dem Boden aufstampft und sagt „es muss aber so gehen, wie ich es schon als Kind gelernt habe“, der wird seinen Job nicht mehr lange mit Freude ausüben.
Eine Frage an alle, die mit Kindern und Pferden arbeiten:
Als ich früher als Kind im Reitstall war, da habe ich sehr viele sehr unschöne Dinge erlebt, wie mit Kindern und Pferden umgegangen wurde. Und das war einer der Hauptmotivationen, es ANDERS zu machen. Ich wollte zeigen, dass man mit Kindern und Pferden arbeiten kann, ohne:
- Kinder anzuschreien, weil sie „nicht hören würden“
- Pferde zu misshandeln (wunde Maulwinkel, Narben dort, wo Sporen eingesetzt wurden,…)
- Kinder als billige Stallhilfen zu missbrauchen (hier auch wieder Anschreien, wenn es nicht ordentlich war)
- Leistung vor Beziehung zu stellen (Turnier vs. Pferd ist mein Freund Mentalität)
Was habt ihr in eurer Ausbildung über Methodik und Didaktik gelernt? Wurde der Umgang mit Emotionen in der Ausbildung thematisiert? Habt ihr Dinge gelernt wie „Kompetenzstufen“ und wie Lehren wirklich funktioniert? Wurde das bei euch auch thematisiert? Oder ging es mehr um die Reittechnik?
Wenn Kinder nichts mehr können – Wie lernt man lehren?
Eine Lehrerin an einer Schule muss Studieren – 7 Semester Regelstudienzeit VOLLZEIT… Plus nochmal 18 Monate(!) Referendariat, also Praxis! Damit sie anschließend auf Kinder vorbereitet ist und die Ausbildung ist kein Zuckerschlecken (das ist nochmal ein anderes Thema – was ich da erlebt habe als Schulsozialarbeiterin mit den Referendaren…).
Habt ihr die Grundlagen wie man lehrt (nicht nur das Fachliche über das Pferd und wie man wo zieht und drückt (Hilfengebung, ihr wisst schon)), sondern auch alles drumherum – die Lernumgebung, die geschaffen werden muss, der inhaltliche Aufbau von Einheiten… war das Bestandteil eurer Ausbildung?
Und wenn ihr das mal gelernt habt – wendet ihr dieses Wissen auch an?
Oder macht ihr es doch so, wie ihr es früher selbst gelernt habt?
Wenn ihr lernen wollt, wie es anders geht – pferdefreundlich, menschlich, miteinander, nicht auf Krampf und mit Druck, dann schaut euch gern meinen Youtube-Kanal an, da hab ich ein paar mehr Infos zum Thema, wie man ethisch auf Augenhöhe in der Reitpädagogik arbeitet (und natürlich auch als Trainer oder Reittherapeutin – denn die Pädagogik ist eigentlich die Grundlage, um überhaupt auf heranwachsende Menschen losgelassen werden zu dürfen – meiner Meinung nach).
Bevor du deine Arbeit jetzt hinschmeißt, weil du dich ertappt fühlst, weil die eigentliche Ursache für die fehlende Geduld häufig ganz woanders liegt, als nur in der fehlenden fachlichen Ausbildung, lies gern diesen Beitrag hier! Er wird dir die Augen öffnen und hält auch die eine oder andere Überraschung parat.
WICHTIG: Es gibt auch die andere Seite:
Die, die leider in diesem Post kaum zu Wort kam. Die Menschen, die den kleinen Menschen als unfertigen Erwachsenen sehen, der auf einer Reise ist – zu lernen in der heutigen Welt mit allen Anforderungen und der Schnelllebigkeit zu bestehen.
Hier zum Beispiel:
Ich empfinde das tatsächlich nicht in dem Ausmaß. Aber ich arbeite ganz viel mit Kindern mit geistigen und/oder körperlichen Beeinträchtigungen oder ADHS, Autismus, Lernschwächen…. also mein Konzept basiert schon auf „Händchen halten „, so viel es eben nötig ist. Da staune und freue ich mich eher, wie selbstständig manche sind. Und es sind Kinder, oder schlimmer Pubertiere. So ab 11 wird das Hirn einfach für ein paar Jahre Matsch
.
Oder dieses hier:
Es sind Kinder, deren neuronale Vernetzung noch nicht abgeschlossen ist. Je mehr allerdings Routinen festgelegt werden mit klaren Aufgaben und Zeitangaben, um so besser klappt es.
Was ich mir von Herzen wünsche:
Bevor sich über die fehlende Fähigkeit zu Lernen aufgeregt wird: Liebe Kinder-Reitlehrerinnen, bitte fasst euch an die eigene Nase. Und dann frage dich: Bin ICH bereit, zu LERNEN? Bin ich bereit, Dinge über Bord zu werfen, die Entwicklung zu sehen und mich darauf auszurichten? Bin ICH bereit, so mit den Kindern zu arbeiten, dass sie etwas Wertvolles fürs Leben mitnehmen?
Eine Zeit, in der die Nähe zum Tier mehr wiegt als korrektes Auftrensen oder das Abarbeiten von Routinen!
Wir dürfen uns alle immer wieder reflektieren, wenn wir mit Kinder arbeiten. Und was WIR tun können, um mit der Zeit zu gehen und den Kindern WERTE zu vermitteln. Werte wie „Durchhaltevermögen“ oder „Sauberkeit“… vor allem aber Empathie und Verständnis… Wer das nicht von sich aus als Vorbild mitbringt, der wird den Spiegel durch seine Kunden vor Augen geführt bekommen.
Denn Kinder lügen nicht.
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