In Mythos 2 meiner kleinen Serie „Mythen beim reiten lernen, die sich beständig halten, obwohl sie längst überholt sind“ geht es um das Thema „Die Reitzeit macht die Qualität aus“ und warum ich der Meinung bin, dass das nicht stimmt.
Worum geht es eigentlich beim Reiten lernen?
Geht es darum, bestimmte Techniken zu erlernen, die dem Pferd signalisieren sollen, was es zu tun hat? Oder geht es vielmehr darum, ein Verständnis für das Wesen „Pferd“ zu erlangen und das reiten lernen lediglich als Teil des Ganzen zu betrachten?
Es gibt Reitschulen, die stellen dem Kind das gesattelte Pferd zur Verfügung. Das Kind klettert hinauf, reitet 45 oder gar 60 Minuten auf „seinem Pferd“ in der Abteilung auf dem Reitplatz oder der Halle, steigt ab und übergibt das Pferd dann dem nächsten Reitschüler.
Aus meiner Sicht wird diese Form des Reitunterrichts dem Begriff „reiten lernen“ nicht gerecht. Für mich zählen nämlich einige weitere Punkte zum reiten lernen:
So z. B. folgende:
Sitzen auf dem Pferderücken:
Dieser Punkt beinhaltet alles, was mit der reinen Reittechnik zu tun hat. Falltraining, Sitzschulung, Hilfestellung, Balanceübungen usw. finden sich unter diesem Punkt.
Pferdehaltung und Versorgung:
Unter diesem Punkt finden wir alles, was mit der Pflege und Versorgung des Pferdes zu tun hat. Konkret: Stall ausmisten, Futter, Wasser, Tierarzt, Hufpflege, Zahnarzt usw.
Wo lebt das Pferd? Warum lebt es in einer Box oder warum nicht? Was bedeutet die Haltung als Auswirkung auf die Qualität des Reitunterrichts?
Wie ernährt sich das Pferd? Was mag es von Natur aus gerne und was eher nicht? Was braucht mein Pferd, um optimal gepflegt zu werden?
Die Psyche des Pferdes und artspezifisches Wissen:
Pferde sind Flucht- und Herdentiere. Was bedeutet dies als Konsequenz für den Umgang miteinander? Was ist das Besondere an dem Pferd im Unterschied zu mir als Menschen? Raubtier-Fluchttier und was das Ganze über meine Beziehung zu ihm aussagt. Wie denken und lernen Pferde? Wie kann ich meinem Pferd etwas beibringen?
Dies sind nur einige Punkte, die das Kind lernen sollte. Jedes Pferd hat wie der Mensch seinen eigenen Charakter und Missverständnisse beim Umgang miteinander lassen sich vermeiden, je besser man sich kennt.
Putzen und Reitvorbereitung:
Unter diesen Punkt fällt alles, was das Kind beherrschen muss, BEVOR es auf das Pferd aufsteigt.
Wie hole ich das Pferd aus seinem Auslauf? Was mache ich, wenn ich zwischen zwei Pferden stehe, die sich anzicken? Wie kann ich mich so verhalten, dass der Aufenthalt in der Herde nicht gefährlich ist? Wie halftere ich ein Pferd auf? Wie kriege ich das Tier aus dem Tor, ohne dass der Rest der Herde hinterhermarschiert? Wie prüfe ich, ob mein Pferd heute gut oder schlecht gelaunt ist? Woran erkenne ich, welche Schwierigkeiten ggf. unterm Sattel auftauchen können und was kann ich tun, um das zu beheben (Stichwort Bodenarbeit!)?
Wie putzt man ein Pferd richtig? Wann darf man es putzen und wann besser nicht (ja auch das gibt es!)? Wo darf man mit welchem Utensil putzen und warum darf man das an bestimmten Stellen nicht? Ferner: Was tut man, wenn das Pferd an einer Stelle, die sehr wichtig ist, nicht geputzt werden will?
Wenn das Pferd nun gebürstet ist, wie lege ich den Sattel auf? Was muss ich dabei beachten, damit das Pferd keine Schmerzen hat? Wie lege ich den Sattelgurt an? Warum muss ich nachgurten?
Theorieunterricht:
Hier finden wir alle weiteren Punkte, wie Körperteile, Fellfarben, Abzeichen, Knochenbau, Rassen, Giftpflanzen, Krankheiten, uvm.
Unter Umständen fehlen hier noch ein oder zwei Bereiche, ich freue mich, wenn ihr Ergänzungen für mich habt.
Wie man nun aber sieht, sind vier von fünf Bereichen Themen, die nicht unmittelbar damit zu tun haben auf dem Pferd zu sitzen.
Gerade deshalb finde ich es wichtig, dass der Unterricht für Kinder ganzheitlich gestaltet wird. Das reine „draufsitzen und sich tragen lassen und dabei eine mehr oder weniger gute Figur machen“ wird dem Begriff „reiten lernen“ – jedenfalls meiner Meinung nach – nicht gerecht, denn sie macht lediglich 20% aller Themen aus.
Wenn man nun also qualitativ hochwertigen Reitunterricht anbieten möchte, so muss man zwingend auch die Aspekte in den Unterricht integrieren, die nicht unmittelbar damit zu tun zu haben, auf dem Pferd zu sitzen.
Es wird dir jetzt wahrscheinlich auch deutlich, dass einmal pro Woche zum Reiten zu gehen langfristig nicht ausreichend ist. Gerade als Anfängerkind gibt es in allen fünf Bereichen viel Wichtiges zu lernen, damit das reiten lernen ein Erfolg wird.
Weitere Aspekte sind dann noch die individuellen Dinge, die den Reitschüler oder die Reitschülerin betreffen:
Hierzu zähle ich:
- Entwicklung (auf welcher Entwicklungsstufe steht das Kind? Kann es bestimmte Dinge unter Umständen einfach noch nicht umsetzen?)
- Konzentrationsfähigkeit (wie lange kann sich das Kind konzentrieren? Was passiert, wenn die Konzentrationsspanne überschritten wird?)
- Motivation (aus welchem Grund möchte das Kind reiten lernen? Welches Bedürfnis möchte es damit befriedigen?)
Weitere Infos zu diesem Punkt erhältst du in einem der nächsten Artikel. Wenn du ihn nicht verpassen möchtest, trage dich doch einfach hier für meinen Newsletter ein.
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Marina Lange