Mythos 3 meiner kleinen Serie „Mythen beim Reiten lernen, die sich beständig halten, obwohl sie längst überholt sind“ handelt vom Mythos, dass Bodenarbeit mit dem Pferd nur etwas ist, was Pferdebesitzer benötigen. Die Allgemeinheit ist nach wie vor der Meinung, dass Bodenarbeit für Kinder, die reiten lernen möchten, unnötig ist.

Als ich mit meinen Kinderreitgruppen 2008 begann, startete ich mit Desty, meinem Hannoveraner-Paint-Mix und einer Gruppe von 4 Kindern. Inhalt waren Voltigierübungen, die wir bei einem gemeinsamen Spaziergang im Gelände einübten. Irgendwann wurde ich mit einer Situation konfrontiert, die mich zum Nachdenken anregte: Die Kinder putzten gerade Desty, um ihn für den Unterricht vorzubereiten, als mein Pferd seinen Kopf zum Bauch bewegte, um dort eine Fliege zu verscheuchen. Alle Kinder sprangen aus Angst schnell zur Seite, als Desty mit seiner Lippe die Fliege vertrieb.

Ich dachte mir „Das kann so nicht sein. Die Kinder turnen auf Desty die abenteuerlichsten akrobatischen Übungen, aber sie haben Angst, wenn sein Kopf näher kommt!“

Ich beschloss, das Natural Horsemanship, dass ich bisher ausschließlich „privat“ praktizierte, in den Unterricht mit Kindern einzubauen. Bis heute bin ich fest davon überzeugt, dass das die beste Entscheidung war, die ich jemals habe treffen können.

Bis zu dieser Entscheidung, war auch ich der Meinung, dass Bodenarbeit nur dazu dient, das Pferd am Boden auszubilden und darauf vorzubereiten, was später im Sattel von ihm abverlangt wird.

Plötzlich stellte ich jedoch fest, dass Bodenarbeit ein wertvoller Bestandteil der Arbeit mit Kindern am Pferd ist, da die Kinder eine ganz andere Form der Beziehung zum Pferd aufbauen und ein großer Teil der Unsicherheit der Kinder beim Putzen durch die Bodenarbeit und die Kontrolle des Pferdes am sicheren Boden bearbeitet und bewältigt werden konnte.

In der allgemeinen Reitlehre ist die Bodenarbeit im Prinzip so etwas wie der „Kindergarten“ für Pferde. Das sind die Dinge, die sie lernen, bevor sie unter den Sattel kommen. Sobald das Pferd geritten wird, braucht es keine Bodenarbeit mehr. Diese alt eingesessene Meinung wird gottseidank langsam immer mehr aufgeweicht.

Ein Kind, das gelernt hat, das Pferd vom Boden aus zu kontrollieren hat in einer Gefahrensituation die Chance, schnell vom Pferd abzuspringen (z.B. mit unserer Technik des Notfallabsitzens), und dann die Situation am Boden zu klären. Die Unfallgefahr sinkt, denn das Pferd reagiert auf einen sichtbaren Menschen besser als auf einen, der im Sattel sitzt. Gerät ein Kind ohne Erfahrung in Bodenarbeit in eine Gefahrensituation (z.B. im Gelände), traut es sich unter Umständen nicht zu, abzusteigen, weil es am Boden noch unsicherer im Umgang mit dem Pferd ist, als unterm Sattel.

Diese Unsicherheit bei Kindern, die keine regelmäßige Bodenarbeit durchführen  ist völlig logisch nachvollziehbar. Die einzige Zeit, die die Kinder dann mit dem Pferd am Boden verbringen, ist beim Putzen, Satteln und beim Führen von Stall zur Halle bzw. Reitplatz und zurück. Die Zeit auf dem Pferderücken (und damit der Bereich, in dem sich das Kind sicher und kompetent fühlt), ist deutlich höher – das Kind wird also in einer Gefahrensituation eher dazu neigen, die Situation von oben zu lösen, als vom sicheren Boden aus.

Hat das Kind aber gelernt, wie es z.B. ein Pferd vom Boden aus auf sicherem Abstand hält, um nicht überrannt zu werden oder was es tun kann, wenn ein Pferd partout nicht weitergehen möchte (z.B. weil es Angst vor einer Brücke hat), kann das Kind mit Bodenarbeitserfahrung absteigen und die Situation am sicheren Boden klären. Zur Not kann das Pferd auch einfach losgelassen werden, und das Kind bringt sich selbst in Sicherheit.

Viele derartige Unfälle könnten vermieden werden, wenn Reitschulen mehr Focus auf die Bodenarbeit legen würden, um den Kindern genau dort Kompetenzen zu vermitteln, wo sie als Grundlage benötigt werden.

Wie ist deine Beobachtung zum Thema Bodenarbeit? Kennst du Reitschulen, in denen es für die Kinder verpflichtend ist, an Bodenarbeitskursen teilzunehmen? Wie denkst du darüber? Ich freue mich sehr über dein Feedback!

Marina

15 Kommentare

  1. Nadja

    Hallo Marina,
    das Problem ist, dass viele der „normalen“ Reitschulen leider keinerlei Kompetenz in Bodenarbeit und deren Bedeutung haben. Da gehört mehr zu als kurz mal ein Knotenhalfter draufzumachen. Ich finde es total wichtig, dass Kinder so früh wie möglich die Chance haben, sich damit auseinanderzusetzen. Bisher habe ich Kinder kennengelernt, die ganz wild darauf waren, aber auch solche, die kein Interesse hatten (was aber auch häufig von der Einstellung der Eltern abhängt). Aber so haben sie zumindest die Wahl. Ich habe mein Projektpferd ziemlich weit in der Bodenarbeit ausgebildet, und es war mir ein Fest zu sehen, wie der große Kerl der kleinen Tochter der Besitzerin (9 Jahre alt) auf Signal hinterher galoppiert ist.
    Außerdem finde ich gute Bodenarbeit sicherheitsrelevant. Ich wollte mein Kind nicht in einem Stall unterrichten lassen, wo ich Angst haben muss, dass die Pferde den Kinder auf die Füße steigen und sie durch die Gegend ziehen. Komischerweise habe ich den Eindruck, ist das aber gang und gäbe. Verdrehte Welt. viele Grüße! Nadja

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    • mkwradmin

      Hallo Nadja,

      das ist der Grund, warum ich diesen Blog ins Leben gerufen habe. Weil ich einfach den Wunsch habe, aufzuklären und dadurch für ein Umdenken in der Gesellschaft zu sorgen 🙂

      Alles liebe, Marina

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  2. Pferdeflüsterei

    Hi Marina, eine tolle Seite, die ich gerade erst entdeckt habe. Ich kann Dir nur in allen Punkten zustimmen. Das gilt für mich übrigens auch für Erwachsene. Ich habe Bodenarbeit erst bei meinem Reiturlaub kennengelernt. Bei meinem Reitlehrer war nie die Rede davon und als ich bei ihm nach den reiterferien „Bodenarbeit“ lernen wollte, hat er mich Longieren lassen. Der Rest sei „Firlefanz“ .. ich musste regelrecht suchen, bis ich eine Trainerin gefunden habe, die Bodenarbeit macht. Auch bei ihren erwachsenen Pferden. Was für mich als Basic genauso dazugehört wie Gymnastizierendes und der gemütliche Ausritt. Ich finde eigentlich müsste jeder Reitschüler erst einmal ein paar Stunden Bodenarbeit bekommen, bevor er sich aufs Pferd setzt oder Führtraininh usw. Ich hätte mir gewünscht, dass mein erster Reitlehrer so vorgegangen wäre. Alles Liebe, Petra

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    • mkwradmin

      ich stimme dir voll und ganz zu.

      Mittlerweile bin ich sogar soweit, dass ich nichtmal mehr trennen würde zwischen Bodenarbeit und Reiten – Unterricht mit dem Pferd. Punkt. Dazu gehört nämlich noch viel mehr als nur Reiten – ich habe in einem früheren Artikel darüber geschrieben, was noch alles dazugehört…
      Schau mal hier: http://meinkindwillreiten.de/die-reitzeit-macht-die-qualitaet-aus/
      Alles liebe, Marina

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  3. Friederike

    Hallo Marina,

    ich habe auch irgendwann großen Gefallen an der Bodenarbeit gefunden, die inzwischen über das Clickertraining zur Zirkuskunst geführt hat. Das Reiten selbst kommt seitdem immer zu kurz, doch ich vermisse es kaum. Das Miteinander auf Augenhöhe hat für mich den größeren Reiz.

    Schöne Grüße
    Friederike

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    • mkwradmin

      Zirkuslektionen sind auch eine spannende Sache und das Pferd (wenn man es denn richtig dahinführt) hat meines Erachtens nach auch viel mehr Freude an diesen Dingen, als am stumpfen Runde um Runde in der Reitbahn latschen…
      Auch die Kinder haben Spaß daran, mit dem Pony „Zirkus“ zu spielen und Lektionen aufzuführen, die nicht geritten sind 🙂
      Alles liebe, Marina

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  4. Frieda

    Hallo Marina,

    ich habe nach etwas zum Thema „Wie führe ich ein kleines Kind ans Pferd heran“ gesucht und bin so auf deine Seite gekommen.
    Unsere Tochter wird jetzt 4 und liebt Pferde. Sie ist aber eher ein gehemmter und etwas ängstlicher Typ. Sie einfach so in einen Reitverein schleifen und sie dort auf ein Pferd setzen, würde nicht gehen.
    Leider gibt es kaum Höfe, die nach einem etwas entspannteren Konzept vorgehen, wie du. Aber wir geben nicht auf, so etwas tolles auch in unserer Nähe zu finden.

    Herzliche Grüße
    Frieda

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  5. Michael

    Ich kann da nur zustimmen, den richtigen Umgang mit einem Pferd lernt man am Besten mit der Bodenarbeit. So habe ich das auch gelernt 🙂

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    • mkwradmin

      Es freut mich sehr, dass es immer mehr im Kommen ist, dass Bodenarbeit in den klassischen Reitunterricht aufgenommen wird, so wie bei dir, lieber Michael!

      Alles liebe, Marina

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  6. Diana

    Hey Marina
    Ich bin total deiner Meinung. Jeder, der mit Pferden zu tun hat, sollte sich mit Horsemanship auskennen. Man bekommt durch die Bodenarbeit ein unglaubliches Verständnis von Körpersprache und Vetrauen und man lernt nicht nur das Pferd zu lesen, sondern auch sich und seinen Körper zu kontrollieren. Leider wurde mir das als Kind noch nicht beigebracht, aber seit dem ich es gelernt habe, habe ich eine ganz andere Sicht auf die Probleme, die manche mit ihren Pferden haben, bekommen. Außerdem ist es wichtig das Pferd und Reiter sich gegenseitig respektvoll behandeln. Auch das wird beim Horsemanship vermittelt.

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  7. mkwradmin

    Hallo Diana,
    das was du beschreibst, nutzen wir, um die Kinder z.B. in ihrem Muskeltonus zu stärken. „Jetzt gehe mal aufrecht stampfend wie ein Soldat auf das Pferd zu!“ – Das Pferd reagiert mit Rückzug und das Kind ist stolz, weil es das Pony beeinflussen konnte und lernt gleichzeitig seinen Körper in hochgradiger Anspannung zu halten 🙂
    Alles liebe, Marina

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  8. Aaron

    Meine Tochter will auch unbedingt reiten lernen. Ich dachte immer nur Ok rauf aufs Pferd und los gehts, Nun werden wir verstärk nach Reitschulen schauen die auch die Bodenarbeit anbieten. Danke für den Artikel.

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    • mkwradmin

      Hallo Aaron,
      vielen dank für deinen Beitrag. Ich freue mich sehr, dass mein Blog tatsächlich Eltern erreicht, die sich mein Anliegen zu Herzen nehmen und nachdenken, bevor sie ihr Kind irgendwo anmelden 🙂
      Liebe Grüße
      Marina

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  9. Melanie Buczek

    Liebe Marina ! Ich bin begeisternt ! Endlich jemand, der genauso denkt wie ich. Ich biete bei mit am Stall ebenfalls Kurse für Kinder an, um ihnen den sicheren Umgang mit dem Pferd vom Boden aus beizubringen. In den Reitschulen lernen die Kinder so etwas lieder nicht…es ist wirklich traurig zu sehen, dass dort die Pferde oft wie Geldmaschinen behandel werden…der liebevolle und repsektvolle Umgang geht oft verloren… Ich finde super was du machst! Ich würde mich gerne mit dir austauschen und villeicht hast du ja noch ein paar anregungen für mich.
    Vielen Dank und liebe Grüße

    Melanie

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    • mkwradmin

      Hallo Melanie,

      danke für deinen Beitrag! Ich habe für Menschen wie du und ich den Naturalkids® Club ins Leben gerufen – hier tauschen wir uns aus und es gibt jeden Monat ein bestimmtes Thema, was ihr euch aussuchen könnt, worüber ich dann schreibe und spreche 🙂
      Schau einfach mal hier: http://naturalkids-club.de und melde dich zu meinem kostenlosen Webinar an!

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