In einigen Reitschulen wird für Reitanfänger das sogenannte Longe-Reiten oder Longenunterricht angeboten. Als unwissender Elternteil hat man meist keine Ahnung, was damit gemeint ist.
Was ist Longenunterricht eigentlich?
Die Longe ist eine Leine (ca. 8 Meter lang), an der das Pferd auf einer kreisförmigen Bahn bewegt wird. Der Longenführer (oft der Reitlehrer) steht hierbei in der Mitte des Kreises und hält sowohl die Longe, als auch eine lange Peitsche in der Hand, die ihn unterstützen soll, das Pferd auf der Bahn zu halten und die Richtung und Tempo zu bestimmen.
In der reiterlichen Ausbildung sitzt der Reitschüler also auf einem Pferd, das im Kreis um den Reitlehrer herumgeht. Das nennt man Longenunterricht für Anfänger.
Wozu ist Longenunterricht gut?
Der Reiter, der auf dem longierten Pferd sitzt, braucht nicht aktiv auf das Pferd einzuwirken, Tempo und Richtung werden vom Reitlehrer kontrolliert, der Reiter braucht erstmal nur spüren, wie er sitzen muss, um sich auszubalancieren. Dies soll dazu dienen, dem Reiter ein Gespür für sein Gleichgewicht zu geben und auch für die ersten Hilfen (also die Informationen per Körpersprache an das Pferd, die das Pferd verstehen und umsetzen soll).
Soweit die Theorie… Doch schauen wir uns den Longenunterricht mal etwas genauer an. Und zwar aus physikalischer Sicht.
Welche Kräfte wirken eigentlich auf den Reitschüler auf dem Pferd?
Kennst du dieses Spiel (wir haben es als Kind oft gespielt), bei dem man einen Eimer mit Henkel mit Wasser füllt und diesen Eimer dann über Kopf schleudert, so dass eigentlich das Wasser herausfallen sollte, es das aber nicht tut? Mich hat das als Kind schon sehr fasziniert.
Wir sprechen umgangssprachlich von der Fliehkraft. Es gibt beim Reiten lernen jedoch eigentlich 2 verschiedene Kräfte, die einwirken. Das eine ist die Zentrifugalkraft (das sehen wir, wenn wir den Eimer schleudern). Das andere ist die Zentripetalkraft. Hierzu habe ich das Beispiel, dass ein Auto bei Glatteis einfach geradeaus weiterfährt, obwohl die Lenkung sagt „Linkskurve“.
Beide Kräfte, also Zentrifugalkraft und Zentripetalkraft sind unbedingt in der Reiterei zu berücksichtigen.
Was passiert nun beim Reiten an der Longe?
Zunächst haben wir beim Anreiten im Schritt (also der langsamsten Gangart des Pferdes), nur eine recht geringe Auswirkung von Zentripetal- und Zentrifugalkraft. Diese Kräfte kennen wir, wenn das Auto anfährt, und wir in den Sitz „gedrückt“ werden, oder wenn es bremst, und wir den Oberkörper nach vorn bewegen. Fährt das Auto in eine Kurve, haben wir zusätzlich zum Anfahren auch noch die Kraft, die uns nach außen drückt.
Diese Kräfte wirken beim Reiter auch ein.
Der Reiter sitzt also auf dem Pferd, und muss sich ausbalancieren. Dabei wird er von 2 Kräften beeinflusst, die bei einem gut ausgebildeten (!) an der Longe gehenden Pferd in der Regel recht gleichmäßig von statten gehen. Das heißt: Das Pferd hält den gleichen Abstand zum Longenführer, es schwankt nicht, und es hält auch das Tempo innerhalb der Gangart, es läuft also gleichmäßig.
Warum ist aber genau dieser Umstand beim Reiten lernen als eher problematisch anzusehen?
Ganz einfach. Der Reiter lernt als erstes, sich auszubalancieren. Er tut dies, weil er mit zwei Kräften konfrontiert wird. Diese Kräfte wirken größtenteils gleichmäßig auf den Reiter ein. Und das ist das Problem. Der Reiter lernt, dass z.B. im Trab, der Druck nach Außen immer permanent und konstant gegeben ist, da das Pferd sich auf einer kreisförmigen Linie befindet (wie das Wasser im Eimer). Außerdem hat er im Trab zusätzlich noch die gleichmäßige, konstante Kraft, die ihn nach hinten „drückt“, bis er sich an die Kraft gewöhnt hat. Vielleicht kennst du das vom Starten beim Flugzeug. Da kann man sich noch so anstrengen, man kann nicht gerade sitzen bleiben, wenn das Flugzeug startet.
Deshalb wage ich hier mal die kühne Behauptung, dass es für den Reitanfänger besser ist, wenn das Pferd nicht gut ausgebildet ist.
Das ist natürlich nur ein Spaß.
Aber als Reitlehrer muss man sich schon darüber im Klaren sein, dass, wenn der Reitanfänger das Reiten an der Longe erlernt, er diese Balance-Erfahrung mit aufs Pferd nimmt, auch wenn das Pferd dann später (in der Abteilung oder beim freien Reiten) geradeausläuft.
Problem: Der Reiter kennt in dem Moment die Balance noch nicht, bei der das Pferd auf einer geraden Linie läuft, und keine oder nur wenig Zentrifugalkraft (Eimer Wasser)auf den Reiter wirkt. Hat der Reiter nun Zügel in der Hand, die mit dem Pferdemaul verbunden sind, wird er trotz gutem Longenunterricht dem Pferd ins Maul fallen und sich am Zügel festhalten.
Was kann man also tun? Der Reitanfänger muss ja irgendwie reiten lernen.
Dazu fallen mir verschiedene Lösungen ein, ich schreibe auch gleich, wie wir auf der Natural Kids Ranch diese Problematik lösen.
- Langzügel: Als Reitlehrer arbeitet man nicht mit Longe, sondern mit Langzügel. Beim Langzügel läuft der Reitlehrer hinter dem Pferd-Reiter-Gespann hinterher und dirigiert von hinten. Der Reitschüler kann Anweisungen nicht so gut wahrnehmen, weil sie von hinten kommen, der Reitlehrer kann nur wenig vom Sitz des Schülers seitlich wahrnehmen. Im Trab muss der Reitlehrer im Tempo mitlaufen, Galopp ist also schon utopisch, es sei denn, der Reitlehrer ist in seiner Freizeit auf Marathons unterwegs 😉
- Doppellonge: Bei der Doppellonge ist der Reitlehrer mit 2 Longen mit dem Pferd verbunden. Dadurch sind Richtungsänderungen möglich. Das Beobachten des Reitschülers ist hier besser möglich als beim Langzügel, allerdings erfordert die Doppellonge auch einiges mehr an Geschick im Umgang mit den zwei Longen, der Peitsche und dem Handling beim Richtungswechsel.
Beide Techniken müssen zunächst beherrscht werden und bedeuten für den Reitlehrer eine größere Anstrengung und mehr Focus auf das Pferd als beim klassischen Longieren. Sie sind aus meiner Sicht also nicht optimal.
Wie wir dieses Problem lösen:
In meiner Ausbildung zur Hippolini-Reitlehrerin habe ich eine wunderbare Methode kennengelernt, Kinder mit den unterschiedlichsten Fliehkräften zu konfrontieren, ohne sie dabei an der Longe halten zu müssen: Sie führen sich gegenseitig. Durch eine spezielle Technik (die wir von der Natural Kids Ranch für uns weiterentwickelt haben, die aber vom Ursprung her aus der Hippolini-Lehre kommt), führen die Kinder das Pony durch verschiedene Erlebniswelten. Hierbei kommen auch verschiedene Richtungs- und Tempowechsel vor. Z.B. einen Kreis um eine Pylone oder Trab über Stangen oder Slalom um Tonnen etc.
Dies hat Vorteile:
- Der Reitlehrer /Trainer (ich meine hier übrigens immer beide Geschlechter!) hat den Reiter im Blick und zwar von allen Seiten, je nachdem, wo er sich auf dem Reitplatz positioniert.
- Das Kind hat keine gleichmäßig einwirkende Zentrifugalkraft, da es nicht permanent im Kreis reitet, sondern die Wege auf dem Reitplatz unterschiedlich angelegt sind und in alle Richtungen mit allen Kurvenarten (Links- oder Rechtskurve, scharfe Kurve oder langgezogene Kurve etc.) ausgestattet sind.
- Das Ausbalancieren in der Zentripedalkraft gelingt gut, da Tempowechsel durch die unterschiedlich gestalteten Reitplatzaufbauten vorgegeben sind
- Der Umstand, dass ein in der Regel auch noch recht unbeholfenes Kind das Pony führt und bewegt, führt dazu, dass, es hierbei auch zu „natürlichen Schwankungen“ in Tempo und Richtung kommen kann.
Grundbedingung ist hier aber wieder: Das Pferd muss gut ausgebildet sein und eine Bindung zum Reitlehrer haben. Der Reitlehrer muss in der Lage sein, sein Pferd auch auf Distanz kontrollieren zu können, damit Unfälle vermieden werden. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben (z.B. bei häufig wechselnden Reitlehrern etc.), würde ich auf die oben vorgeschlagenen Methoden zurückgreifen.
Wie immer freue ich mich sehr über dein Feedback zu deinem Artikel! Schreib mir, wenn du Fragen hast!
Marina